Paul-Hermann Gruner

paulhermanngruner by annameuer
© Anna Meuer

 

Geboren 1959. Seit 1982 in Darmstadt. Studium Politikwissenschaft, Neuere- und Zeitgeschichte sowie Bildungsphilosophie. Magister Artium 1987, Sprachwissenschaftler Dr.phil. Als bildender Künstler (Objekt, Montage, Installation) tätig seit 1980. Zehn Jahre freier Journalist für verschiedene Tageszeitungen und Magazine in Deutschland, 1996 bis 2016 Redakteur beim DARMSTAEDTER ECHO. Politische Feuilletons u.a. für Cicero-online und Deutschlandradio Kultur, Berlin. 1992 bis 1994 Texte für Dieter Hildebrandt (Scheibenwischer, SFB), 1994 bis 1997 Satireprogramme mit den Liedermachern Stephan Krawczyk und Karl-Heinz Bomberg (beide Berlin). Diverse Preise (Wissenschaft und Journalismus), mehrere Stipendien (Literatur).

Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland und im Verband Deutscher Schriftsteller (VS). Geschäftsführer der Gesellschaft Hessischer Literaturfreunde, Darmstadt.


Letzte Veröffentlichungen:
„Wunderlich und die Logik“, Satirischer Roman, Darmstadt 2012
„La Tour Du Mariage. Sieben Kurzgeschichten des 1. Darmstädter Turmschreibers“, Darmstadt 2014
„Zikaden mit Zahnrad. Querschüsse, Glossen, Satiren“, Darmstadt 2015
„Die suggestive Konfiguration von `Weiblichkeit`. Frauenzeitschriften, Doing Gender und die Kontinuität tradierter Rollenstereotype“, Wiesbaden 2017

 

 

 

W a s i s t S c h ö n h e i t ?
oder: Das Auge

Was ist Schönheit? Ich habe mich angesichts dieser so leichten, filigran schwebenden, eigentlich in sich längst beantworteten Frage – weil: Das weiß doch jeder! – über einschlägige wie ausschlägige Lexika hergemacht. Gelesen, geblättert, gelesen. Viele kluge Sachen. Ein Satz blieb bei mir hängen, ein kurzer. Bei mir bleiben nur kurze Sätze hängen. Schönheit, stand da, liege im Auge des Betrachters. Ich hatte diesen Satz schon mal so gehört. Oder so ähnlich.

Um ihm wissenschaftlich auf den Grund zu gehen, habe ich mir das Auge eines Betrachters einmal vorgenommen. Mit Erlaubnis seines Besitzers habe ich mir das rechte seiner beiden besorgt, habe in es hineingeschaut, habe es von unten, oben, rechts und links untersucht, es schließlich schockgefroren und labortechnisch sauber in hundert Gewebeprobenschnitte unterteilt und jeden einzelnen davon beidseitig mit dem Mikroskop durchgearbeitet. Nach vielen Stunden harter Arbeit stand das Ergebnis fest: nichts. Ich habe nichts entdecken können. Keine Spuren, keine Hinweise auf irgendwas wie Schönheit. Mein Bekannter trägt seit elf Tagen eine Augenklappe.

Damit könnte diese irgendwie traurig wirkende Geschichte einer vergeblichen Suche beendet sein. Aber nein, sie geht weiter. Mein Bekannter rief mich vor drei Tagen an, er hätte eine neue Freundin. Mit so einer Augenklappe sehe er so verdammt süß aus, habe sie gesagt. Schön, schick und schnuckelig. Sie nenne ihn nur noch „mein Kläppchen“. Mit den beiden scheint es also zu klappen.

Jetzt hat mein Bekannter kein rechtes Auge mehr, aber dafür eine sehr verliebte Freundin. Ein Tor hat sich für ihn geöffnet. Was ich dazu sage? Die Welt ist doch gerecht. Wenn auch vollkommen unberechenbar. Wie ich das finde? Schön.